Retro-Rezension: Star Trek: Deep Space Nine 1×01/02 – “Der Abgesandte” / “Emissary” (2024)

Vor 30 Jahren startete mit “Deep Space Nine” die dritte Live-Action-Serie aus dem Star Trek-Universum. Anlässlich dieses Jubiläums blicken wir zurück auf den Pilotfilm der Serie.

“Star Trek: Deep Space Nine” © Paramount

Neu und doch vertraut

Die spannende Vorgeschichte der Serie dürfte den meisten Lesern dieser Rezension sicherlich bekannt sein. An dieser Stelle verweise ich auf meinen Artikel zum 20-jährigen Ende der Serie.

Nur so viel: Die Prämisse der Serie war von Anfang an äußerst delikat: “Deep Space Nine” musste wie “The Next Generation” sein und doch auch wieder anders. Einerseits wollte man verständlicherweise die Zuschauer des mittlerweile äußerst beliebten ersten Spin-offs der Originalserie abholen. Andererseits sollte sich die neue Serie aber auch deutlich vom “großen Bruder” unterscheiden und ganz eigene Akzente setzen. Im Idealfall sollte es “Deep Space Nine” sogar gelingen, neue Zuschauer für “Star Trek” zu begeistern. Die frühen 90er-Jahre boten hierfür gewiss einen guten Nährboden, denn in dieser Zeit erlebte das Science-Fiction-Genre eine weitere Blütezeit.

“Der Abgesandte” hatte folglich die schwere Aufgabe, ein Setting zu etablieren, das vertraut und innovativ zugleich war. Und so viel sei schon hier verraten. Das Drehbuch von Rick Berman und Michael Piller wurde diesem Anspruch glücklicherweise auch gerecht.

Handlung

Lieutenant Commander Benjamin Lafayette Sisko (Avery Brooks) dient im Jahr 2366 als Erster Offizier an Bord der U.S.S. Saratoga (NCC-31911), die während der ersten Borg-Invasion zur Streitmacht der Sternenflotte gehört, welche den Eindringling bei Wolf 359 aufhalten soll. Doch die Föderationsschiffe haben den Borg nichts entgegenzusetzen, alle 39 Schiffe werden zerstört oder schwer beschädigt. Sisko gelingt es gemeinsam mit seinem 11-jährigen Sohn Jake (Cirroc Lofton) und einer Handvoll weiterer Crewmitglieder, die Saratoga im letzten Moment in einer Rettungskapsel zu verlassen. Doch unter den insgesamt mehr als 11.000 Todesopfern, welche die verheerende “Schlacht von Wolf 359” fordert, ist auch Siskos Ehefrau Jennifer (Felicia M. Bell).

In den folgenden drei Jahren, die Sisko damit verbringt, die Errichtung von orbitalen Habitaten auf dem Mars zu überwachen, gelingt es ihm nicht, den Tod seiner Frau zu überwinden. Die Schuldgefühle erdrücken ihn und belasten darüber hinaus auch seine persönliche Einstellung zum Dienst bei der Sternenflotte. Schon in dieser Zeit spielt er mit dem Gedanken, seine Uniform an den Nagel zu hängen und ins zivile Leben zurückzukehren. Als man ihm 2369 das Kommando über die Raumstation Deep Space 9, einem im Orbit von Bajor befindlichen neuen Außenposten der Föderation, anbietet, schiebt er diese weitreichende Lebensentscheidung zunächst auf.

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Auf Deep Space 9 angekommen, bietet sich Sisko ein katastrophales Bild. Die Cardassianer haben nach ihrem Rückzug vom Planeten Bajor, den sie rund sieben Jahrzehnte rücksichtslos ausgeplündert hatten, ein Feld der Verwüstung hinterlassen. Das Volk der Bajoraner, das in der Zeit der Besatzung schlimmste Unterdrückung und Qualen erleiden musste, ist politisch tief gespalten. Die sogenannte “Provisorische Regierung” hat die Föderation zwar als Schutzmacht eingeladen, viele Bajoraner, darunter auch Siskos Verbindungsoffizierin Major Kira Nerys (Nana Vistor), misstrauen jedoch sowohl der Sternenflotte als auch ihrer eigenen Regierung.

Sisko sucht daraufhin Kai Opaka (Camille Saviola), die spirituelle Anführerin der Bajoraner, auf. Nur ihr traut man zu, das gespaltene Volk dauerhaft zu einen. Doch für Sisko hat die Begegnung mit Opaka nicht nur berufliche Konsequenzen: Die Geistliche offenbart dem Commander, dass seine Anwesenheit auf Bajor kein Zufall ist, sondern vielmehr die Erfüllung seines eigentlichen Schicksals: Der “Abgesandte der Propheten” sei endlich gekommen, um den Himmelstempel zu entdecken und dadurch eine noch engere Verbindung zwischen den Bajoranern und ihren Göttern herzustellen.

Sisko wehrt sich zunächst gegen diese Interpretation seiner Anwesenheit, doch als er gemeinsam mit Lieutenant Jadzia Dax (Terry Farrell) im nahen Denorios-Gürtel ein stabiles Wurmloch, das in den weit entfernten Gamma-Quadranten führt, entdeckt, scheint sich Opakas Prophezeiung tatsächlich zu erfüllen. Die im Wurmloch lebenden Entitäten, denen das Konzept der linearen Zeit fremd ist, nehmen Sisko mit auf eine emotionale Reise in sein innerstes Seelenleben. Dank dieser Erfahrung gelingt es Sisko, den Schmerz und die Wut über den Tod seiner geliebten Jennifer endlich hinter sich zu lassen.

Unterdessen müssen sich Major Kira, Chief O’Brien (Colm Meaney), Sicherheitschef Odo (René Auberjonois) und Doktor Bashir (Siddig El Fadil, später: Alexander Siddig) auf der Station gegen einen Angriff der Cardassianer erwehren. Schlussendlich gelingt es, die Cardassianer zurückzuschlagen und mit den Wurmloch-Aliens eine freie Passage durch das Wurmloch auszuhandeln.

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Aus der abgelegenen Raumstation Deep Space 9 wird urplötzlich ein interstellares Zentrum für Handel und wissenschaftliche Exploration. Und auch Commander Sisko ist nun dazu bereit, die schwierige Aufgabe auf DS9 zu übernehmen und die Bajoraner auf ihrem steinigen Weg in die Gemeinschaft der Föderation zu begleiten…

Exposition

Dem Pilotfilm “Emissary” gelingt es auf hervorragende Weise, einen Brückenschlag zwischen “The Next Generation” und “Deep Space Nine” herzustellen. Dazu tragen neben der geschickten Verbindung zur TNG-Highlight-Episode “The Best of Both Worlds, Part 1 & 2” auch die Mitwirkung von Colm Meaney als Chief Miles Edward O’Brien (Stammcharakter) und Patrick Stewart als Captain Jean-Luc Picard (Gastauftritt) bei.

Auch auf der visuellen Ebene merkt man als Zuschauer sofort, dass man sich hier im “Star Trek”-Universum des 24. Jahrhunderts befindet. Das dunklere Setting – darunter die im Vergleich zur Enterprise-D schwächer ausgeleuchteten Kulissen sowie die nun schwarzen Sternenflotten-Uniformen – macht aber zugleich deutlich, dass “Deep Space Nine” einen ganz neuen, eher düsteren Ton anzuschlagen gedenkt. Und auch das spannende Design der (von den Cardassianern gebauten) Raumstation unterscheidet sich bewusst von den Erscheinungsbildern der bisher gezeigten Föderationsstationen – ohne jedoch gänzlich fremd zu wirken.

Diese neue Tonalität wird auch in der zunächst bestehenden Antipathie zwischen Sisko und Picard deutlich, die äußert effektiv mit der aus TNG bekannten “Friede, Freude, Eierkuchen”-Wohlfühloase bricht und den Zuschauer zunächst etwas konsterniert zurücklässt. Sisko wirkt hier nämlich eher wie ein Antiheld. Als Zuschauer ist man an dieser Stelle hin- und hergerissen zwischen Verständnis und Ablehnung. Einerseits kann man Siskos Schmerz und Verbitterung ob seines furchtbaren persönlichen Verlustes nachvollziehen. Andererseits wissen die treuen TNG-Stammzuschauer natürlich um Picards schlimmes Martyrium, als er sich in den Händen der Borg befand und trotz größter Anstrengung nicht verhindern konnte, dass sie dessen Wissen nutzten, um die Föderationsflotte zu vernichten. Dadurch erscheint Siskos latenter, nur mit seinen bösen Blicken geäußerter Vorwurf an Picard höchst unfair und zynisch.

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Und genau diese Ambivalenz erzeugt ein Grundsetting, das von der ersten bis zur letzten Minute zu fesseln weiß. Wohl kein anderer Hauptcharakter wurde in “Star Trek” so zielsicher und emotionalisierend eingeführt wie Benjamin Sisko. Im Vergleich mit “Emissary” verblasst auch Michael Burnhams Einführungsgeschichte in den ersten beiden Episoden von “Discovery”.

Überdies gelingt es der Episode ebenso, eine höchst interessante Symbiose zwischen dem klassischen Star Trek-Ansatz – der Erforschung des Weltraums (Wurmloch, Gamma-Quadranten) – und zwei völlig neuen thematischen Leitlinien herzustellen. Da wäre einerseits der Umstand, dass auf Deep Space 9 völlig unterschiedliche Kulturen, Denk- und Handlungsweisen aufeinanderprallen. Die Prinzipien und Richtlinien der Sternenflotte als Ordnungsrahmen spielen hier nur eine Rolle unter vielen. Zu nennen sind hier vor allem die Religiosität der Bajoraner, der unorthodoxe Ordnungssinn von Constable Odo, die Profitorientierung der Ferengi (in Person von Quark) und natürlich die Vertreter der Sternenflotte (Sisko, Dax, O’Brien, Bashir), die von der wohlgeordneten Föderationsgesellschaft in die harte Realität einer Welt geraten, die gerade eine “Zero Hour” hinter sich hat und nun vom Grunde auf neu errichtet werden muss – inklusive aller Chancen und Gefahren, die damit verbunden sind.

“Deep Space Nine” ist also zugleich auch Ausdruck eines sozialen Experiments sowie einer Art “Entwicklungshilfe-Geschichte”. Und damit stand die Serie schon im Pilotfilm ganz im Zeichen der damaligen Zeit. Einer Ära, in der alte Ordnungen (Sowjetunion, Jugoslawien) zerfielen und neue, teils sehr heterogene und konfliktbehaftete Gesellschaften entstanden.

In gewisser Weise macht “Der Abgesandte” gleich vom Start weg deutlich, dass “Star Trek” nun aus dem Lichtkegel des bisherigen Utopismus heraustritt, ohne jedoch komplett in der Dunkelheit zu verschwinden. Diese Grenzerfahrung ist wohl auch die größte Stärke der Serie und – so meine ganz persönliche Meinung – bis zum heutigen Tage im Star Trek-Universum unerreicht.

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Die Einführung der Antagonisten, der bereits aus TNG bekannten Cardassianer, gelingt hier allerdings nur bedingt. Sowohl Gul Dukat (Marc Alaimo) als auch Gul Jasad (Joel Swetow) wirken doch recht klischeehaft und oberflächlich, hier fehlt (noch) das gewisse Etwas. Auch wenn sich die Cardassianer – und allen voran Gul Dukat – im weiteren Verlauf der Serie noch deutlich steigern sollten, wurde interessanterweise schon mit dem Pilotfilm deutlich, dass “Deep Space Nine” in Bezug auf die Antagonisten mehr braucht als die Cardassianer. Mit dem Dominion, den Breen und zeitweise auch mit den Klingonen wurde an dieser Front später auch einiges ausprobiert, in der Regel auch mit durchschlagendem Erfolg.

Mit den “Wurmlochwesen” aka “Propheten” führt man im Pilotfilm ein Erzählelement ein, das sich später wie ein roter Faden durch die Serie ziehen wird und durchaus spannende Facetten enthält – gerade in Bezug auf das Phänomen Religion, aber ebenso auch auf die wissenschaftsorientierte Erzählweise von “Star Trek” (Aliens, die außerhalb der linearen Zeit existieren). Gleichwohl hatten die “Propheten-Folgen” im weiteren Verlauf der Serie zweifelsohne auch einige Tiefen. An manchen Stellen wirkten diese Storylines etwas erzwungen oder sogar klischeehaft (vor allem die Pah-Geister). Besonders negativ ist mir das in Bezug auf “Sieg oder Niederlage” (DS9 6×06) in Erinnerung geblieben, wo die Wurmlochwesen leider ziemlich offensichtlich als Plot Device herhalten mussten (Ich hätte mir an dieser Stelle eine andere Lösung gewünscht, wie man die Dominion-Flotte aufhält).

Nichtsdestotrotz sorgen die Wurmlochwesen/Propheten insgesamt für ein atmosphärisches Element, das “Deep Space Nine” von allen anderen Trek-Serien abhebt und auch eine besondere Faszination erzeugt.

Charaktere

Im Gegensatz zur TNG-Crew bekommen die meisten Hauptfiguren in “Deep Space Nine” von Beginn an eine gehörige Portion Vielschichtigkeit mit auf den Weg gegeben. Zuvorderst ist hier natürlich Commander Sisko zu nennen, der bis heute als Witwer und alleinerziehender Vater der “individuellste” Kommandant im Star Trek-Universum geblieben ist. Alle anderen Captains haben – allen kleineren Unterschieden zum Trotz – ähnliche Lebensläufe.

Im Gegensatz zu den überzogenen Melodramen von “NuTrek” ist Siskos emotionale Kompromittierung in der Pilotepisode auch zu einhundert Prozent glaubwürdig geschrieben. Dementsprechend authentisch ist auch das Mitgefühl, das man hier als Zuschauer entwickelt. Das liegt natürlich auch an Avery Brooks, der im Gegensatz zu Patrick Stewart kein Abtasten mit seiner neuen Rolle benötigt, sondern von der ersten bis zur letzten Sekunde der Serie Benjamin Sisko ist.

Man hat Avery Brooks gelegentlich “Overacting” attestiert, zweifelsohne hat er in manchen Szenen tatsächlich einen Hang dazu. Ich persönlich mag seine Art zu schauspielern ungemein, allen voran den geschickten Einsatz seiner markanten Stimme und sein Spiel mit verschiedenen Stimmlagen und Betonungen.

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Ja, ein “Star Trek”-Captain darf gerne auch mal gebrochen sein und sogar weinen. Es kommt eben auf den Kontext und die Dosis an. Und diesbezüglich waren “The Next Generation” und “Deep Space Nine” eben deutlich sparsamer und zielsicherer als die jüngeren Star Trek-Produktionen.

Doch auch die anderen Charaktere wecken sofort Interesse. Während man Chief O’Brien schon aus TNG kennt (und wohl auch sehr mag), bleibt Doktor Bashir im Pilotfilm leider noch etwas blass. Wobei sein Tritt ins berühmtberüchtigte Fettnäpfchen (Kira: “Diese ‘Wildnis’…ist meine Heimat!”) auch zugleich für eines der humoristischen Highlights des Serienauftakts sorgt.

Deutlich mehr Aufmerksamkeit ziehen dagegen Kira, Dax, Odo und Quark auf sich.

An dieser Stelle bekenne ich mich freimütig als riesengroßer Kira Nerys-Fan. Dieser Charakter ist und bleibt für mich bis heute die beste weibliche Figur in “Star Trek”. Kira ist facettenreich und die wunderbare Nana Visitor hat wirklich alles rausgeholt, was aus dieser Rolle rauszuholen war. Auch hier in der Pilotepisode. Schon ihre erste Szene, die eiskalte Begrüßung von Commander Sisko im Büro des Stationskommandanten, überzeugt auf ganzer Linie. Die Chemie zwischen Avery Brooks und Nana Visitor stimmt hier einfach vom ersten Augenblick an.

Dieses Gespann trug die Serie in den folgenden sieben Staffeln, eben weil sich deren Verhältnis so wunderbar von (einseitiger) Ablehnung und Misstrauen zu Verständnis, Vertrauen, Respekt und einer tiefen Freundschaft entwickelte. Auch in dieser Beziehung setzte DS9 Maßstäbe.

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Auch der grantige Odo, von René Auberjonois absolut überzeugend gespielt, zeigt gleich im Pilotfilm, dass dieser Charakter so ganz anders ist als das, was TOS und TNG im Angebot hatten. Und Armin Shimermans Quark setzt hier sogar noch eins drauf. Keine Hauptfigur war bis dahin so shady wie der Ferengi-Barkeeper, der später nur noch von Andrew Robinsons Garak übertroffen wurde, der in der ersten Folge allerdings noch keinen Auftritt hat.

Mit der Figur der Jadzia Dax wandelte man sowohl auf bekannten als auch auf neuen Pfaden. Einerseits hatte sich das Konzept einer langjährigen Freundschaft zwischen zwei Hauptfiguren in “Star Trek” schon bewährt, zu nennen sind hier Kirk und McCoy sowie Riker und Troi. Andererseits bot die nun umgedrehte Konstellation – aus Schüler wird Mentor – eine durchaus spannende Neuerung. Zudem stellte Dax in gewisser Weise den ersten transsexuellen (Curzon/Jadzia) beziehungsweise non-binären Charakter (Dax-Symbiont) in “Star Trek” dar, wobei das hier zugegebenermaßen auch nicht wirklich tiefgründig thematisiert wird.

Alles in allem wird schon mit dem Pilotfilm deutlich, dass in der neuen Crew deutlich mehr Konfliktpotenzial steckt, was die Sache nicht unbedingt uninteressanter macht. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall.

Drehbuch und Inszenierung

Die Dramaturgie des Pilotfilms hat damals Maßstäbe gesetzt und auch heute kann mich “Emissary” immer noch fesseln. Der Teaser vor dem eigentlichen Intro ist schlicht atemberaubend und effektechnisch für die damalige Zeit einfach nur WOW!!! Gleiches gilt auch für den Wurmloch-Effekt, der bis heute enorm glaubwürdig auf mich wirkt. Es ist erstaunlich, was 1992/93 schon alles möglich war auf der visuellen Ebene.

Neben dem – für damalige TV-Verhältnisse – beeindruckenden Effektspektakel nimmt sich der Pilotfilm lobenswerterweise auch sehr viel Zeit, um das Setting zu erklären und die verschiedenen Charaktere einzuführen. Angesichts der Tatsache, dass “Deep Space Nine” hier wirklich ein gigantisches Fass aufgemacht hat, gelingt das der Episode ausgesprochen gut. Die Story hätte an einigen Stellen aber vielleicht doch noch die ein oder andere Öse vertragen können, denn in der Mitte flacht die Dramaturgie nach meinem Dafürhalten doch ein wenig ab. Die Analyse des Drehkörpers und der Flug in das Wurmloch wirkt stellenweise etwas schleppend, die Attacke der Cardassianer etwas erzwungen. Und auch das “große Finale” kann mit dem fulminanten Auftakt leider nicht schritthalten. Der Spannungsbogen flaut am Ende für meinen Geschmack etwas zu rapide wieder ab.

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Und auch frei von Logiklöchern ist “Emissary” gewiss nicht. Zufälligerweise kann die Enterprise nicht rechtzeitig zur Hilfe eilen. Und überhaupt ist es schon etwas unglaubwürdig, dass die Sternenflotte das Risiko eingeht, den neuen Außenposten temporär relativ ungeschützt zu lassen. Aber gut, ansonsten halten sich die Plot Holes doch in Grenzen.

Die Katharsis, die Sisko durchläuft, weiß indes zu überzeugen, auch wenn es am Ende dann vielleicht doch etwas schnell geht mit seinen verheilten Seelenwunden. Sei’s drum, am Ende fügen sich die verschiedenen Ebenen der Story – Siskos Trauma, die Cardassianer, die Prophezeiungen Opakas – doch recht organisch zusammen.

Im Vergleich zum doch eher langweiligen Pilotfilm von “The Next Generation” stellt “Der Abgesandte” aber ohne jeden Zweifel eine deutliche Steigerung dar. Der “Voyager”-Auftakt “Der Fürsorger” konnte dieses Niveau einigermaßen halten, wobei ich “Emissary” noch eine Stufe darüber ansiedeln würde. Lediglich “Broken Bow” (ENT) fand ich noch einen (kleinen) Tick besser.

Regie führte damals David Carson, dessen drei TNG-Episoden (TNG 3×07 “Auf schmalem Grat”, 5×01 “Der Kampf um das klingonische Reich, Teil 2”, 5×24 “So nah und doch so fern”) zu den besseren Episoden der Serie gehören und insbesondere im Bereich der Inszenierung überzeugen. Folglich war er 1992 die logische Wahl für den DS9-Pilotfilm. Ein Jahr später durfte er dann auch den ersten TNG-Kinofilm “Star Trek: Treffen der Generationen” inszenieren, was sicherlich auch auf seine hervorragende Arbeit für “Deep Space Nine” zurückzuführen ist.

Gesellschaftskommentar

“Der Abgesandte” steht in bester Star Trek-Tradition, denn hier geht es nicht nur um stupide Popcorn-Unterhaltung samt Effektfeuerwerk, sondern dezidiert um anthropologische und gesellschaftliche Fragestellungen.

Über allem steht natürlich die Frage, wie wir mit Verlustschmerz und Schuldgefühlen umgehen. Ich muss sagen, dass es mir wirklich jedes Mal wieder total unter die Haut geht, wenn die Wurmlochwesen feststellen, dass Sisko doch eigentlich in der Vergangenheit lebt, obwohl er doch ständig von einem linearen Zeitablauf redet. Das Hadern mit schmerzlichen Verlusten oder falschen Entscheidungen ist und bleibt ein konstitutiver Bestandteil der menschlichen Existenz, was “Deep Space Nine” hier wirklich sehr gut einfängt.

Die Botschaft der Folge ist eindeutig: Man kann dem Schmerz nicht entrinnen, man muss sich ihm stellen – auch wenn es verdammt wehtut. Ich denke, dass diese Message absolut zutreffend ist und auch zum Nachdenken anregt. Irgendwann muss das Leben weitergehen. Für einen selbst, aber auch zum Wohle derer, die noch Teil des eigenen Lebens sind (hier: Jake).

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Auf der anderen Seite thematisiert die Episode, wie bereits erwähnt, auch eine Art “Stunde Null”. Damit rekurriert die Episode sowohl auf das Jahr 1945 als auch auf die Wendejahre 1989/90 und die damit verbundenen Folgen, die sich zu Beginn der 1990er-Jahre vor allem auf dem Balkan widerspiegelten. Man darf nicht vergessen: “Deep Space Nine” entstand in einer Zeit, in der in Südosteuropa gerade ein blutiger Krieg tobte. Was das bedeutet, bekommen wir in Europa aktuell leider wieder in der Ukraine vor Augen geführt.

Die Besatzungszeit auf Bajor ist hingegen offenkundig eine Anspielung auf die Schoah. “Deep Space Nine” ging hier also eigentlich den gleichen Weg, den schon die Originalserie genommen hatte: Aus einer Dystopie (damals: Dritter Weltkrieg) kann eine Utopie entstehen. Allerdings kostet das unglaublich viel Mut, Mühe und Geduld. Doch anstatt uns nur davon zu erzählen und das Endresultat zu zeigen, nimmt uns “Deep Space Nine” mit auf diesen Weg.

Schlussbetrachtung

Mit “Emissary” legte “Deep Space Nine” einen bildgewaltigen, emotionalen, atmosphärischen und spannenden Start hin. Der anvisierte Brückenschlag zwischen “The Next Generation” und einem neuen, innovativen und durchaus mutigen Format gelang, ohne dass die Serie sofort Bäume ausriss. Kleinere Defizite hinsichtlich der Dramaturgie und der Antagonisten verhinderten dies, wobei eine Laufzeit von 90 Minuten eigentlich auch zu kurz war, um das komplexe Setting und die zahlreichen vielschichtigen Figuren wirklich perfekt einzuführen.

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Name: Edmund Hettinger DC

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Job: Central Manufacturing Supervisor

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